Vorwort
von Heinz Strotzka, Salzburg
Das Schicksal von Dr. Zacharias Zweig und seinem Sohn Stefan Jerzy übersteigt jegliches Vorstellungsvermögen. War es schon kaum möglich, als Erwachsener die Torturen eines Konzentrationslagers zu überstehen, so hatte ein Kind noch geringere Chancen. Die zusätzliche Sorge um das Kind muss für Dr. Zweig unerträglich gewesen sein. Am Beispiel der Familie Zweig lassen sich paradigmatisch die Etappen des Leidenswegs verfolgen. Die engere Familie, bestehend aus Dr. Zweig und seiner Frau Helena, der 1932 geborenen Tochter Sylwja und dem 1941 geborenen Sohn Stefan Jerzy, musste zuerst ins Krakauer Ghetto übersiedeln und kam dann nach Aufenthalten in den Konzentrationslagern Biezanow, Skarzysko-Kamienna und Plaszow ins KZ Buchenwald. Helena Zweig und ihre Tochter waren in einem Nebenlager des KZ Buchenwald interniert und wurden schließlich ins KZ Auschwitz deportiert, wo sie in der Gaskammer ermordet wurden.
Der Sohn Stefan Jerzy konnte nur dank der außerordentlichen Fürsorge von politischen Häftlingen überleben, die darin einen Akt des Widerstandes sahen und damit ein Zeichen der Menschlichkeit setzen wollten. Nach der Befreiung ging der Vater mit seinem Sohn zuerst nach Krakau zurück, weiter nach Frankreich und 1949 ließen sie sich schließlich in Israel nieder.
Dr. Zweig konnte in Israel seinen Anwaltsberuf wegen des unterschiedlichen Rechtssystems nicht ausüben und arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Beamter des Finanzministeriums. Seine Hauptsorge galt seinem Sohn, mit dem er unter sehr beengten Verhältnissen zusammenlebte. Dieser hatte sich in dem jeweiligen Aufenthaltsland rasch die Landessprache angeeignet. Er schloss dann 1959 in Israel das Gymnasium ab und rückte in die israelische Armee ein. Inzwischen konnte Dr. Zweig den Kontakt mit jenen ehemaligen Häftlingen aufnehmen, die sich um das Überleben seines Sohnes verdient gemacht hatten.
In der DDR war 1958 der Roman von Bruno Apitz «Nackt unter Wölfen» erschienen, in dem das Schicksal und die Errettung eines Kindes im KZ Buchenwald aufgrund eines realen Falls mit einigen Veränderungen dargestellt wurde. Nach einigen Recherchen wurde von Seiten der DDR der Aufenthalt der dargestellten Hauptpersonen ermittelt. Willi Bleicher, einer der Retter, war inzwischen Vorsitzender der Gewerkschaft-Metall in Baden-Württemberg geworden, und er nahm sofort Kontakt mit dem inzwischen erwachsenen Stefan Jerzy Zweig auf. Es kam zu einem gemeinsamen Besuch des ehemaligen KZ Buchenwald, an dem auch Robert Siewert, ein weiterer Retter, teilnahm.
Stefan Jerzy Zweig erhielt das Angebot, in der DDR zu studieren, was er vorerst ablehnte, aber dann entschied er sich doch für ein Studium an der Filmhochschule in Berlin- Babelsberg. Schließlich verließ er nach Beendigung seiner Ausbildung die DDR und übersiedelte 1972 mit seiner Familie nach Wien. Während seiner gesamten Studienzeit behielt er die israelische Staatsangehörigkeit, die ihm angebotene DDR-Staatsbürgeschaft hatte er mehrmals abgelehnt.
Er nahm dann eine Stelle als Kameramann beim Österreichischen Rundfunk (ORF) an. Sein Vater verstarb 1972 in Tel Aviv. Er hatte 1961 einen ausführlichen Bericht über seine KZ-Aufenthalte verfasst, der den ersten Teil der vorliegenden Publikation darstellt. Von nicht geringerer Bedeutung sind auch die Ausführungen des Sohnes, die er selbst als «Epilog» bezeichnet. Hier wird mit großer Offenheit sein persönlicher Lebensweg dargestellt, der immer unter dem Unstern der frühen Kindheitserlebnisse stand. Der «Ruhm», als Vorlage der Romanfigur in «Nackt unter Wölfen» gedient zu haben, war ohne Zweifel eine zusätzliche Belastung, die sein Leben stark beeinflusste.
Das vorliegende Buch verfolgt aber noch eine andere Absicht. Aus der Sicht eines Betroffenen wird die neue Leitung der Gedenkstätte Buchenwald sehr heftig kritisiert. Die faktische Gleichsetzung der Opfer des Faschismus mit jenen Personen, die dort nach 1945 interniert wurden, muss verständlicherweise die erste Gruppe empören. Die unter der Bezeichnung «Opfer des Stalinismus» firmierende Gruppe war sehr heterogen und umfasste Kriegsverbrecher, NS-Funktionäre, aber auch Kritiker der sowjetischen Besatzungsmacht und des Regimes der SBZ.
Die dahinter stehende Totalitarismustheorie führt zwangsläufig zu einer falschen Analogie und zur Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. Auch die Diffamierung der kommunistischen Häftlinge als "Stalinisten" wird dieser Personengruppe nicht gerecht und löste unter den Betroffenen mehrfach heftige Proteste aus.
Der energische Widerspruch Stefan J. Zweigs auf persönliche Unterstellungen und Angriffe durch den Leiter der Gedenkstätte, Dr. Knigge, veranlasste den Direktor, die Informationstafel bezüglich des Schicksals des jüngsten Häftlings von Buchenwald in der Gedenkstätte entfernen zu lassen.
Überdies entfachte das Kuratorium mit Dr. Knigge an der Spitze eine
Polemik gegen die Handlungsweisen ehemaliger Häftlinge. Grundlage seiner
Theorie war hauptsächlich, was die Häftlinge Buchenwalds während
und nach dem Krieg und darüber hinaus hätten tun oder unterlassen
sollen. Unverständlicherweise wurde allerdings keinem dieser Häftlinge
jemals gestattet, in diesem Kuratorium vertreten zu sein.
Das bösartige Krebsgeschwür des NS-Systems wird heute aber in der
Präsentation in den Hintergrund gerückt und nur fragmentarisch dargestellt,
und für junge Besucher sind dadurch die historischen Zusammenhänge
schwer durchschaubar.
Die vorliegende Dokumentation und der Lebensbericht von Stefan Jerzy Zweig sind authentische Beweise für die Auswirkungen eines der ungeheuerlichsten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. Sie legen aber auch Zeugnis von tiefer Menschlichkeit ab, die unter den unvorstellbaren Bedingungen zum Ausdruck kam.
Heinz Strotzka, Salzburg
Ehemaliger Vorsitzender der Konferenz für Geschichtsdidaktik
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