offener Brief an Rowolth/Schädlich vertreten durch den Rechtanwalt
und Buchprüfer Hans Jürgen Groth
Jänner 2006
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt H. J. Groth. (Rowohlt)
Die feinen juristischen Formulierungen überlasse ich meinem Rechtsanwalt
Hans H. Hieronimi. Ich selbst schreibe nach Art fast aller Sterblichen.
Ich laufe nicht davon, wenn es darauf ankommt, ich heiße doch nicht
H. J. Schädlich, den Sie aus dem Verkehr gezogen haben, wahrscheinlich
aus dem Grund dass er nicht anders redet als Ihnen lieb wäre. Ich
nehme mir die Freiheit in eigener Sache eigens schreiben zu dürfen.
Als ich Ihren Brief, an dem sie wahrscheinlich lange gebrütet haben,
las, beschlich mich folgender Gedanke: Sie fühlen sich nicht wohl
in Ihrer Haut. Sie müssen wohl oder übel Herrn Schädlichs
Produkt verteidigen, das schwer zu verteidigen ist.
Jemand wie ich, dessen Familie, wie Sie vielleicht wissen, den vollen
Preis für das Eisenbahnticket nach Deutschland in das KZ oder Vernichtungslager
selbst entrichten musste, wundert sich nicht, auch nicht über alle
anderen Katastrophen, welche immerwährend über uns Juden hereinbrechen.
Ich bedanke mich sehr bei Ihnen, dass Sie mir die Benutzung des Internet
gestatten. Um so mehr, dass Sie meine Homepage besuchen und ein oder
zwei Worte zu eigen gemacht haben.
Ich bin auch entzückt, dass Sie mich 1964 auf dem Literaturbazar
in der Karl-Marx-Allee neben Bruno Apitz ausgemacht haben. Ich würde
als Demokrat auch heute mit dem ehemaligen Häftling aus Buchenwald – Bruno
Apitz – auftreten, ohne seine politische Meinung zu teilen. Es
sei denn, es wäre eine semi-„Joe-Mac.Carthy“ Ära
in Deutschland eingekehrt, wo die antikommunistische Hysterie um sich
greift, und wo man um seine Existenz fürchten müsste.
Als lebenslänglich Parteiloser werde ich weder Rowohlt noch sonst
jemandem gestatten, eine Ost-West-Deutsche Rancune auf meinem Rücken
auszutragen. Bei der Auseinadersetzung mit Rowohlt könnte es leicht
sein , dass ich mein letztes Hemd verkaufen muss, aber es könnte
auch sein, dass jemand anderer seine Hose verliert.
Hier handelt sich nicht nur um Literatur, sondern um mehr als das, was
die Welt aus den Fugen brachte und sie auf den Kopf oft ohne Köpfchen
gestellt hatte.
Wann, wie und wo und welche Schritte ich unternehme, sollte nicht Ihre
Sorge sein. Meine Sorge ist, wie ich der Demonstration der wirtschaftlichen
Macht Ihres Verlages begegne, nachdem Sie zu keinem Gespräch bereit
sind.
Sie sind angetreten, Ihre jüngste deutsche Geschichte, das dunkelste
Kapitel der Menschheit, mit dem so genannten Roman „Anders“ zu
erhellen, dabei haben Sie sie noch mehr verfinstert.
Von „Müssen“ ein Verfahren in Gang zu setzen, ist hier
keine Rede. Wie Sie wissen, kann ein Anwalt zu nichts gezwungen werden,
er muss überzeugt sein und er ist von unsere gerechten Sache überzeugt.
Es wird auch zu klären sein, was Motiv und Zweck der Übung mit Rowohlt/Schädlichs „Anders“, auf sich hat.
Sie sehr geehrter Herr Groth, vertreten einen Giganten, der nicht unfehlbar ist. Niemand gesteht freiwillig einen Fehler gemacht zu haben, auch Sie nicht. Genauso wie in der Politik. Sie haben ein Politisches Buch verlegt, aber Sie haben sich gerade an mir festgebissen, einem der wenigen im Buch, der niemals politisch aktiv war, und gerade sein Regelpensionsalter von 65 Jahren erreicht.
Es wäre für eine Kulturanstalt wie Rowohlt, nach so viele
Meriten, keine Schande einen Fehler zuzugeben und nicht mit den Wölfen
zu heulen, während die Zitadelle schon längst gefallen ist
und die Brüder und Schwestern wieder vereint sind.
Ich bin niemandes „Opfer“, sondern ich fühle mich durch „Anders“,
durch jemanden, den ich nur aus der Ferne kenne (viceversa), tief verletzt.
Sie sind einer von vielen, die ich seit der Wende kenne, welcher auf
einmal, einerseits als Buchenwald-Spezialist auftreten, anderseits meine
eigne Geschichte mir selektiv vortragen oder nachtragen.
Ich frage mich nur, wo waren Sie bis zum Jahre 1990.
Sie haben den Namen Stefan Jerzy Zweig bis dahin nicht im entfernsten
wahrgenommen. (Wohlgemerkt, laut Überlieferung hatte es Kontakte
zwischen Apitz und Rowohlt bezüglich „Nackt unter Wölfen“ gegeben).
Im Herbst 2003 machte mich ein englischer Germanist aufmerksam, dass
bei Rowohlt gerade ein Buch erschienen sei, o.g. Buches, das er als neutrale
Beobachter, als antisemitisch qualifiziere. Nach der Lektüre musste
ich ihm beipflichten.
(Ich bereitete mich gerade auf eine lebensgefährliche Aortenaneurysmenoperation
vor.)
Zwei der drei Hauptakteure, welche der jüdischen Klasse zuordnet
werden, müssen in einem Boot mit einem längst Verstorbenen
angehörige der „Herrenrasse“ auftreten. Gleich alle
drei schlimme Kerle, wie man es liest.
Sie verehrter Herr Groth finden es nicht ehrenrührig sondern o.k.
Weder das GG(Grundgesetz) noch „Lebach II“ (eine Zumutung „Lebach“ mit dem Völkermord vergleichen zu wollen), lassen bezüglich der Shoah den geringsten Platz für „Vermutungen“ oder „Wahrscheinlichkeiten“ zu, hinter welchen man sich verstecken könnte. Egal aus welchen Motiven, wie auch immer, am wenigsten wie es in Ihrem Brief steht, aus “künstlerischer “ oder anderer ähnlicher Methodik.
Mit freundlichen Grüssen
Stefan Jerzy Zweig
Wien, Januar 2006